SOMMERZEIT – HOLUNDERZEIT

Ein betörender Duft liegt in der Luft
…als ich am Nachmittag über die Wiese streife. Schon von weitem leuchten mir vor blauem Himmel die cremeweißen Dolden meines Lieblingsstrauches entgegen: der Holunder blüht!
Es ist einer der typischen Sommerdüfte: süßlich, ein wenig nach Erde, irgendwie schwer und doch leicht flüchtig… unbeschreiblich. Von etwa Mai bis Juli öffnen sich nach und nach an den Holundersträuchern unzählige Blütendolden. Diese Trugdolden sind aus Unmengen kleiner weißen Blütensternchen zusammengesetzt und jedes dieser Blütensternchen trägt 5 pollenreiche Staubblätter, die diesen intensiven Geruch verströmen.
Das schaue ich mir mal genauer an, denn ich möchte ja gerne auch dieses Jahr wieder diesen Sommerduft in leckerem Sirup konservieren. An grauen Herbst- und Wintertagen kann ich dann mit einem Glas heissem oder kaltem Holunder das Gefühl von Sommer und Wärme wieder heraufbeschwören…
Doch der den Sommerduft bewahrende Blütensirup ist nur ein Teil von dem, was dieser Strauch zu bieten hat.

Ein Strauch – viele Namen
Sehr wahrscheinlich stammt der Name Holunder vom althochdeutschen Namen „Holuntar“ – heiliger Baum – ab. In Süddeutschland heißt er Holder oder Hollerbusch, in Norddeutschland nennt man ihn Eller oder Ellhorn, in England „elder“. Auch Flieder oder Fliederbusch heisst er – ist aber mit dem uns bekannten lila Flieder gar nicht verwandt.
Mit „Attich“ ist meist der kleine Bruder, der Zwergholunder gemeint, mit „Hirschholunder“ der Rote Holunder mit seinen leuchtend roten Beerentrauben. Beide sind weit weniger verbreitet.
Der botanische Name „sambucus“ könnte auf die „Sambyke“ zurückzuführen sein, ein altgriechisches Musikinstument aus Holunderholz.
Frau Holle und ihr Holunder
Aber natürlich kann der Holunder seinen Namen auch von der germanischen Göttin „Holla“ erhalten haben, die vor langer Zeit im süddeutschen Raum verehrt wurde. „Holla“ wurde als gütige Göttin der Erde und des Himmels verehrt, sie ist zuständig für Wetter und Jahreszeiten, sowie für die Fruchtbarkeit der Felder, der Tiere und der Menschen. Sie ist auch die Herrscherin der „Anderswelt“, der Geister der Toten, der Zwerge und Gnome.
Sie erscheint in unterschiedlichster Gestalt – als schöne junge Frau, als gute Mutter oder auch als alte, gruselige Hexe.
Jedes Kind kennt das Märchen von Frau Holle, die als gute Herrin einer anderen Welt die fleissige Goldmarie belohnt und die unfreundliche Pechmarie straft, bevor sie sie wieder ins eigene Dorf und ins eigentliche Leben zurückschickt.
Verschiedene Wege führen die Seelen der Menschen zur Holla – Brunnen, Höhlen, Sümpfe oder eben auch: der Holunder.
Seine Wurzeln reichen weit in die Erde – dort wo die Geister und Seelen der Verstorbenen wohnen. Die leichten hohlen Zweige und Äste strecken sich zum Licht hin in den Himmel und die Knospen treiben ganz zeitig im Frühjahr aus. Die Blüten sind weiss, luftig leicht und duftig, die Beeren schwarz und kernig.
Schwere und Leichtigkeit, Leben und Tod, Gesundheit und Krankheit, Weiß und Schwarz bilden bei diesem Strauch keine Gegensätze, sondern sind eng miteinander verwoben.

Verbindungen zur Unterwelt
Der Holunder wurde sehr verehrt. Man glaubte, schon allein das Beschneiden des Strauches würde Unheil bringen, denn dann könnten böse Geister und Krankheiten aus der Erde entweichen.
Umgekehrt leiten die Wurzeln des Holunderstrauches – so glaubten alten Germanen und Kelten – die Seelen der Verstorbenen hinunter ins Reich der Toten. Die alten Friesen begruben deshalb gerne ihre Toten unter einem Holunderstrauch.
Der Hofholunder galt als Verbindung zu den Vorfahren und Ahnen der Familie. Man stellte ihnen, um ihr Wohlwollen zu erbitten oder um Rat zu fragen, Schälchen mit Milch und Brot unter den Strauch. Wurde jemand im Haus schwer krank, so wurden den Ahnen Opfergaben gebracht. Wenn der Kranke wieder gesund wurde, gab es ein Dankeschön. Verdorrt der Hofholunder, wird jemand im Haus sterben – war eine landläufige Meinung.
Verstorbene wurden auf Holunderreisig aufgebahrt, der Sargschreiner nutzte einen Messstab aus Holunderholz, um den Sarg auszumessen und der Kutscher, der den Sarg zum Friedhof brachte, trieb die Pferde mit einer Gerte aus Holunderholz an. In Tirol steckte man auf das Grab ein Kreuz aus Holunderholz – wenn es Wurzeln schlug und grünte, wussten die Angehörigen: der liebe Verstorbene ist selig geworden.
Selbst der mächtige Zauberstab der Harry-Potter-Bücher – einer der drei Heiligtümer des Todes – der „Elderstab“ ist – wie der Name schon sagt – aus dem Holz des Holunders.
Ringel, ringel, reihe…
Holunder ist ein äußerst vitales und widerstandsfähiges Gewächs. Wo er einmal Fuß gefasst hat, ist er kaum wieder zu beseitigen und kommt immer wieder.
Nachbars Kinder und Nachbars Holunder
bannest du nie auf Dauer
schließt du ihnen die Tür – oh Wunder –
klettern sie über die Mauer…
(Sprichwort)
So wuchsfreudig ist der Strauch, dass er heutzutage gelegentlich schon wieder als beeinträchtigender „Wildwuchs“ in forstlichen Kulturen und Anpflanzungen betrachtet wird.

Die Zeit der Sonnenwende und der Holunderblüte ist die Zeit der Liebe und Fruchtbarkeit. Im Thüringer Wald heißt es: „um Johanni blüht der Holler – da wird die Liebe noch doller.“
Auch der alte Abzählreim „Petersilie, Suppenkraut …..unter einem Hollerbusch gab sie ihrem Schatz nen Kuss. Roter Wein und weißer Wein, morgen soll die Hochzeit sein…“ zeigt, dass Holunder und Liebe wohl irgendwie zusammen gehören.
In einigen Gebieten schüttelten die jungen Mädchen zur Sommersonnenwende die Zweige des Holunders, damit er ihnen im Traum ihren Zukünftigen verrate. Traditionell wurden und werden um die Sonnenwende herum „Hollerküchlein“ aus den Blütendolden gebacken, denn der Duft des Holunders soll Liebe und Lust wecken.
Womöglich hat das dann Folgen, denn in einem alten Kinderlied singt man:
“Ringel, ringel, reihe
wir sind der Kinder dreie
sitzen unterm Hollerbusch,
machen alle husch, husch, husch“
Frau Holle, die Königin der „Anderswelt“ schickt nämlich die dort wohnenden Seelen zu gegebener Zeit wieder in die Lebenswelt zurück. Am besten durch den Holunder, wo die kleinen Seelchen dann nur darauf warten, dass die zukünftige Mutter den Strauch berührt. Und husch, husch, husch – schlüpfen sie in ihren Schoß.
Giftiges Heilmittel
Seit alters her ist der Holunder der Besiedelung durch den Menschen gefolgt. Es gab wohl keinen Hof, auf dem der Holunder nicht wuchs.
Wie Frau Holle ist auch er den Menschen wohl gesonnen und tut ihnen Gutes.
“Rinde, Beere, Blatt und Blüte
jeder Teil ist Kraft und Güte.
Jeder segensvoll”
(Sprichwort)
Der Holunder galt als Schutzbaum und wurde mit seinen Blättern, Blüten, Früchten und Rinde als Hausapotheke sowie als Obstbaum genutzt.
Aber Vorsicht! Was in geringen Mengen und nach dem Kochen durchaus heilsam sein ist, kann in größeren Mengen oder „roh“ ziemlich unangenehm werden! Beeren, Samen, Blätter und Rinde enthalten einen Giftstoff, das Sambunigrin. Es zerfällt beim Erhitzen und wird unwirksam. Ungekocht verspeist, ist mit schweren Magen-Darm-Verstimmungen zu rechnen!
Tee aus den getrockneten Blüten wurde ist wirksam gegen Erkältungskrankheiten, harn- und schweisstreibend und fiebersenkend – unabdingbar zu Zeiten ohne Antibiotika und Krankenversicherung


Aus den im Hochsommer gesammelten, frischen Blättern ließ sich Salbe herstellen – anzuwenden bei Prellungen, Quetschungen und Frostbeulen. Gekochte Blätter wurden bei Brustentzündungen aufgelegt.
Aus den im Spätsommer überreich vorhandenen schwarzen Beeren wurde als Vorbereitung auf den kalten Winter Suppe, Mus und Saft gekocht, eine vitamin- und mineralstoffreiche Bereicherung des Speiseplans, gleichzeitig hilfreich bei Ischias, Rheuma und Gicht. Geröstete Beeren waren den Winter über wichtige Vitamin-C-Spender!
Die im Herbst gesammelte Rinde nutzten unsere Vorfahren zur innerlichen Reinigung. Ein daraus hergestellter Sud verursachte entweder arge Durchfälle oder führte Erbrechen herbei. Beides wirkte entgiftend und entschlackend, war aber in der Wirkung wohl unangenehm heftig. Deshalb: lieber nicht ausprobieren!
Aber nun geht es erst einmal ans Blütenpflücken
Wenn die kleinen Blüten schön gelb vom Blütenstaub sind, ist es die richtige Sammelzeit. Traditionell wurden die Blüten an Johanni (23. Juni) um 12 Uhr mittags gepflückt.
Sie lassen sich gut mit einer Schere oder einem Schnitzmesser abschneiden. Verlauste Dolden lasse ich gleich am Strauch. Läuse sind wichtig für Ameisen und viele verschiedene Vogelarten! Und bei der Menge an Dolden kommt es darauf nicht an! Schließlich freuen sich Bienen, Hummeln und andere Insekten auch über Pollen und Nektar.
Kleine, schwarze, sehr flinke Kurzflügler oder Spinnen fege ich vorsichtig mit einem feinen Pinsel heraus, wenn sie im Korb nicht freiwillig die Flucht ergreifen. Auf das Waschen der Dolden wird verzichtet, denn damit würde ich nur die duftenden Pollenkörnchen wegschwemmen!
Der Korb ist schnell voll – ich habe nun genug für Sirup, Blütentee und ein paar Holunderküchlein. Und ich freue mich schon auf die Beerenernte im Herbst – auf Marmelade, Mus und Suppe!


Weil ich das Schnitzmesser schon zur Hand habe, setz ich mich hin und bastle ich mir noch ein kleines Pfeiferl aus einem Holunderzweig.
Mal sehen, vielleicht hat es ja magische Kräfte und der Hund hört drauf!
Weitere spannende Infos, leckere Rezepte und Schnitzanleitung
Literatur
Wolf-Dieter Storl: Die Pflanzen der Kelten; Menssana 2010
Wolf-Dieter Storl: Kräuterkunde; Aurum 2015
Elvira Grudzielski: Die heilende Kraft der Bäume; Demmler-Verlag 2013
Krystin Liebert: Holunder; Demmler Verlag 2009
Wolf-Dieter Storl: Die alte Göttin und ihre Pflanzen, Kailash-Verlag 2014
Diane Dittmer: Wald- und Wiesen-Kochbuch GU-Verlag München 2014
Links
https://engelundelfen.com/natur/ueber-baeume/der-holunder
https://www.mein-schoener-garten.de/lifestyle/gesund-leben/holunderbeeren-giftig-oder-essbar-36186
Rezepte
https://www.chefkoch.de/rezepte/362271121684042/Holundersirup.html
https://www.kochbar.de/rezepte/holunderbl%C3%BCtensirup.html