Das Igelkrankenhaus in Berlin-Hermsdorf

Das Igelkrankenhaus in Berlin-Hermsdorf

Der Igel: Das lebende Fossil

Eines der bekanntesten Wildtiere unsrer Breiten ist der Igel. Er gehört zu den ältesten Säugetieren auf der Erde und wird auch als „lebendes Fossil“ bezeichnet. Das heißt, dass er in ähnlicher Form bereits mit den Dinosauriern zusammengelebt hat.

Als nachtaktives Schutztier (im Gegensatz zum Fluchttier), kann er sich bis zu 12h einrollen, seine 8000 Stacheln aufrichten und sich so vor Angreifern schützen. Seine Strategie ist ein regelrechtes Erfolgsmodell der Evolution! 

Seine natürlichen Feinde lassen sich gut eingrenzen. Es sind FüchseUhus, Dachse, Marder oder Rabenkrähen. Diese Tiere haben allesamt lange Krallen und können das dichte Stachelkleid des Igels überwinden.

Ein strukturarmer Kiefernwald ist unattraktiv für Igel

Ein strukturreicher Park, wie hier in Berlin, bietet mehr Lebensraum für den Igel

Es wird vermutet, dass Igel ursprünglich in Wäldern mit vielfältigem Bewuchs lebten. Doch der Stachelträger kann sich in unseren heutigen strukturarmen Wirtschaftswäldern nicht mehr aufhalten. Er ist ein typischer Kulturfolger, der im Laufe der Zeit immer mehr vom Land in die Stadtnatur abgewandert ist. Hier sucht er sich abwechslungsreichere Orte wie Parkanlagen und Gärten. Dort findet er offene und dicht bewachsene Flächen mit viel Gebüsch, Laubhecken und einer dicken Laubschicht. 

Igel in Gefahr

Der Insektenfresser stößt mit seiner Lebensart jedoch immer mehr an Grenzen. Denn seine Stacheln helfen ihm nicht im Straßenverkehr oder Verhindern das Zerschneiden seiner Reviere durch Bebauung. Die Lebensbedingungen für Igel verschlechtern sich stetig. Nicht nur durch die direkten menschengemachten Gefahren, sondern auch durch die Folgen des Klimawandels. 

Das ständige Sauberhalten der Gärten durch die Nutzung von Mährobotern, Schneckenkorn und Laubentfernung sorgt für lebensbedrohliche Verletzungen, Vergiftungen und einen Eingriff in den biologischen Kreislauf. Wo keine Insekten mehr das Laub zersetzen, dort fehlt dem Igel auch sein natürliches Nahrungsangebot. Immer mehr Tiere werden mit einer sogenannten „Hungerfalte“ gefunden, die eine Mangelernährung aufzeigt. Viele Hinweise deuten darauf hin, dass die Igelpopulation zurückgeht.

Berliner Igelschutz seit 40 Jahren

Der Sitz des Vereins „Arbeitskreis Igelschutz Berlin e.V.“ in Berlin-Hermsdorf
Von der S-Bahn-Station Hermsdorf braucht man zu Fuß ca. 11 Minuten bis zur Igelstation

Das bekommt auch der Verein „Arbeitskreis Igelschutz Berlin e.V.“ mit. Seit 40 Jahren unterstützt er die stacheligen Vierbeiner in der Hauptstadt. Die Igelstation fand ihren Anfang im Keller der Vorsitzenden Gabriele Gaede und ist im Laufe der Jahre so herangewachsen, dass sie in einen Laden im Norden Reinickendorfs gezogen sind.

Hier finden mehr als 55 Igel Platz, um von den 30 aktiv Helfenden liebevoll umsorgt zu werden. Insgesamt 250 Mitglieder zählt der Verein, welche ausschließlich ehrenamtlich arbeiten. Ihr Herzensziel ist es kranken, verletzten und untergewichtigen Igeln zu helfen, um diese in einer igelfreundlichen Umgebung wieder auswildern zu können. Die Igelstation funktioniert wie ein Krankenhaus und hat allein 2021 so 570 Igel gepflegt.  

Die Tätigkeiten des Vereins sind vielfältig: Sie reichen von nächtlichen Krankentransporten, Untersuchungen, Tierarztbesuchen und Pflege bis zur Öffentlichkeitsarbeit. 

So steht der Verein z.B. mit den Herstellern von Mährobotern in Kontakt und leistet Aufklärungsarbeit auf Festen und in Schulen. Ausserdem bietet er rund um die Uhr Hilfe und Beratung über seine Igel-Hilfehotline. An manchen Tagen klingelt das Telefon alle 10 bis 15 Minuten, erzählen die Ehrenamtlichen.

Alltag in der Igelstation*

Bevor der Winter anbricht werden viele untergewichtige Tiere eingeliefert. Diese Hochsaison im Herbst ebbt im Dezember ab und die Stationsarbeit kommt dann, wie die schlafenden Igel, etwas zur Ruhe. Im Frühling hingegen, mit dem Beginn der Gartensaison, finden sich eher verletzte Vierbeiner und im Sommer verwahrloste Jungtiere in der Station. Igel sind das ganze Jahr präsent, nicht nur im Herbst, somit ist für die Helfenden auch das ganze Jahr über Igelzeit. Die Station ist dementsprechend so gut wie nie leer. 

Ab Dezember liegen die Igel in ihren Ställen und halten Winterschlaf in den unbeheizten Räumen. Jeden Tag kommt ein Team von 4 Personen zusammen, um gemeinsam alles zu säubern. Dazu werden in 3 bis 4 Stunden überall Zeitungen ausgewechselt, als auch Futternäpfe und Schlafhäuschen saubergemacht. Danach folgen die Pflege der Verletzten, die Vorbereitung zur Auswilderung/Betreuung und die Organisation der gespendeten Materialen. 

Igelpflege zu Hause

Die Pflege verletzter und untergewichtiger Tiere dauert mehrere Wochen und in den Wintermonaten bis zu mehreren Monaten. Igel mit dauerhafter medizinischer Betreuung ziehen im Winter zu den Helfenden nach Hause. Die Station wäre gerade für die Intensivbetreuung zu kalt, da die Stachelträger dort kein Fettpolster anlegen können.  

Sie brauchen es warm und viel Aufmerksamkeit. Dort liegen sie nun in den Wohnzimmern und werden zu regelmäßigen Zeiten mit Medikamenten behandelt oder die Jungtiere alle 2 bis 3 Stunden mit Pipetten gefüttert, bis sie selber fressen können. Eine echte Vollzeitbeschäftigung, die die Ehrenamtlichen in ihrer Freizeit organisieren. 

Igel sind dabei keine Haustiere. Auch wenn sie nach der Handaufzucht oder der Pflege erst etwas zutraulich sein können, setzt der nächste Winterschlaf sie wieder auf den Zustand eines „Wildtiers“ zurück (Reset). 

Die Überwinterung von gesund-gepflegten Igeln, findet teilweise bei Privatpersonen statt. In der Bildergalerie sieht man die Vorbereitung eines Igel-Transports mit Hilfe von Pappkartons und zerkleinertem Zeitungspapier.

Die Auswilderung

Die gepflegten Igel werden nach ihrem Krankenaufenthalt wieder entlassen und ausgewildert. Das geschieht vom Frühling bis zum Spätsommer. Dafür besucht der Verein alle potenziellen Gärten persönlich und bewertet diese auf ihre Igel-Freundlichkeit. Dann kann der Igelstall auch schon im Garten platziert werden und die Tür sich langsam öffnen. Zwei Wochen wird der Ankömmling noch gefüttert und dabei das Futter langsam reduziert, bis die Eingewöhnungszeit um ist.

Hilfe: Ich habe einen Igel gefunden, was tun?

Wenn im Winter umherlaufende Igel gefunden werden, dann sind diese immer hilfsbedürftig. In den anderen Jahreszeiten erkennt man einen hilfsbedürftigen Igel folgendermaßen: Hungerknick oder eine birnenartige Körperform (das Gewicht ist nicht aussagekräftig genug), Tagaktivität, umherschwirrende Fliegen. Dem Findling muss dann sofort geholfen werden.

Zur sofortigen ersten Hilfe gehört NICHT das Füttern, dafür braucht er nämlich erst einen warmen Bauch. Als erstes muss der Igel warmgehalten und auf Fliegeneier bzw. –larven abgesucht werden. Die kleinen weiß-gelblichen Punkte gehören sofort entfernt. Danach kann man ihm vorsichtig Wasser anbieten. 

Nach der ersten Versorgung, sollte umgehend die Igelstation kontaktiert werden (über Telefon oder Facebook). Von Alleingängen in der Igelpflege wird stark abgeraten, da im Internet viel Falsches steht. Die Igelexpert:innen können die Fragesuchenden umfangreich zu den nächsten Schritten beraten. 

Was hat der Findling denn?

Igel zeigen oft nicht, dass sie Schmerzen haben. Kotproben geben dort viel Aufschluss zur Erkrankung, denn meistens ist ein starker Parasitenbefall der Grund. Die Proben müssen v.a. am Anfang an mehreren darauffolgenden Tagen entnommen werden.

Medikamente sind bei igelkundigen Tierärzten erhältlich (der Igelstation bekannt). Das Stichwort ist hier „igelkundig“, denn die meisten Tierärzte kennen sich mit Wildtieren nicht aus. Eine falsche Diagnose und Behandlung können zu großem Schaden führen. 

Wie kann jede:r Einzelne helfen? 

Der igelfreundliche Garten

Wie kann ich meinen Garten so gestalten, dass die Igel sich wohlfühlen?

Das ist gar nicht so schwer! Igel brauchen vor allem Nahrung und Unterschlupfmöglichkeiten, bei gleichzeitiger Minimierung von Gefahren. Besonders in den Städten ist es außerdem wichtig, dass Igel-Reviere verbunden bleiben und so seine Lebensweise unterstützen. 

Eine Checkliste:

  • Heimische Pflanzen, Sträucher und Bäume
  • Unterschlüpfe wie Holzstapel, dichte Hecken, Gebüsch, Reisig-, Laub- und Komposthaufen, selbstgebaute Winterquartiere (Igelhaus)
  • Kein Gift (wie Blaukorn, Schneckenkorn usw.) 
  • Durchlässige Zäune mit naturnahen Nachbargärten
  • Igelsichere Gartenteiche, Regentonnen, Löcher, Treppen
  • Täglich frisches Trinkwasserangebot (niemals Milch!)
  • Fütterung im Herbst und Frühjahr (dabei Futterstellen schützen!)
  • Keine Mähroboter und Ultraschallgeräte

Der igelfreundliche Wald

Auch Land-und Waldbesitzer können den Igel unterstützen, da auf lange Sicht die Städte nicht als Lebensraum ausreichen. In Laubmischwälder müssen die natürlichen Prozesse z.B. auf Windwurfflächen oder Brachen wieder zugelassen werden, damit Büsche und junge Bäume wachsen können. Die Insektenfresser bevorzugen nämlich unaufgeräumte Wälder und v.a. Waldränder (offene Wiesen und angrenzender Wald). Mehr liegende Biomasse kommt auch den Insekten zugute, von denen er sich hauptsächlich ernährt.

Unterstützung des Vereins – aktiver Naturschutz

Wenn ihr Lust habt aktiven Naturschutz zu betreiben und die Igel in Berlin zu unterstützen, dann meldet euch beim Verein! Es werden dringend interessierte Bürger:innen benötigt, um die ehrenamtliche Arbeit fortzuführen. 

Wer seine Stärken nicht in der Igelbetreuung sieht, der kann auch anders helfen z.B. durch Igelpatenschaften, Sach- und Geldspenden oder auswilderungs- bzw. igelfreundliche Gärten. Besonders nach politisch-engagierten Personen wird gesucht, um den Druck auf staatlicher Ebene zu erhöhen. 

Denn wenn man im Internet schaut, befindet sich in Hermsdorf die letzte große Igelstation Berlins. In den letzten Jahrzehnten sind viele Stationen geschlossen worden, durch den Wegfall staatlicher Unterstützung und dem altersbedingten Personalschwund. Die Kosten der Miete, Medikamente, Futter und weitere Materialen müssen allein durch private Spenden getragen werden. Jede Unterstützung ist willkommen und hilft diese wichtige Initiative zu erhalten. 


Interessante Links

Ausführlichere Infos zu Igelgefahren und Igel im Garten
(Link zu igelschutzberlin.com)

Artikel zum Thema: Igel brauchen Laubwald
(Link zu naturwald-akademie.org)

Hier ist die Igelstation zu finden:
Olafstraße 71
13467 Berlin-Hermsdorf

*Das Interview mit der Igelstation wurde Ende November 2022 geführt.

Informationen zum Urheberrecht
Die hier verwendeten Bilder wurden entweder privat aufgenommen oder lizenzfrei von der Seite „pixabay.com“ genutzt.

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